Pflanzenprotein Bioverfügbarkeit und Proteinsynthese

Kaum ein Thema erhitzt die Gemüter von Ernährungs-Interessierten so sehr wie dieses: Pflanzenprotein vs. tierisches Protein. Durch die Gamechangers-Doku sind viele Unwahrheiten, Verzerrungen und Mythen in den Umlauf gekommen. Diese sind zwar größtenteils von Fachleuten widerlegt, halten sich im Mainstream aber dennoch hartnäckig.

Deswegen ist die neue Studie von Pinckears et al. (2023) so spannend und liefert brandheiße Erkenntnisse, die die Sichtweise auf Pflanzenprotein, dessen Bioverfügbarkeit und den Einfluss auf die Proteinsynthese nachhaltig verändern können.

(Pinckaers PJ, Domić J, Petrick HL, Holwerda AM, Trommelen J, Hendriks FK, Houben LH, Goessens JP, van Kranenburg JM, Senden JM, de Groot LC, Verdijk LB, Snijders T, van Loon LJ. Higher Muscle Protein Synthesis Rates Following Ingestion of an Omnivorous Meal Compared with an Isocaloric and Isonitrogenous Vegan Meal in Healthy, Older Adults. J Nutr. 2023 Nov 15:S0022-3166(23)72723-5. doi: 10.1016/j.tjnut.2023.11.004. Epub ahead of print. PMID: 37972895.)

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Die Studie zu Pflanzenprotein

Lass uns kurz und knackig schauen, was hier relevant ist.

Zuerst einmal handelt es sich um ein „randomized, counter-balanced, cross-over design“. Von den 16 Teilnehmern (8 Männer und 8 Frauen zwischen 65 und 85) bekam jeder alle der Behandlungen und Bedingungen, sodass interindividuelle Unterschiede weniger Einfluss auf die Ergebnisse haben. Zwischen dem Wechsel (in diesem Fall von pflanzlichem auf tierisches Protein oder andersherum) gab es eine 2-wöchige Washout-Zeit (ohne Intervention).

Was macht diese Studie besonders oder sollte beachtet werden?

  1. Es wurden ältere Leute untersucht (65-85).
  2. Es wurden die Mahlzeiten – pflanzlich vs. omnivore – sehr genau angepasst.
    Das ist wichtig, denn nur bei identischen Protein – und auch den Makronährstoffmengen sowie Kalorien kann ein adäquater Vergleich sichergestellt werden. Bisherige Untersuchungen haben dies konsequent vernachlässigt.
    Bis auf sehr kleine Unterschiede zwischen den Mahlzeiten waren hier die entsprechenden Werte fast identisch.
  3. Es wurden intakte Proteinquellen aus vollwertigen Nahrungsmitteln genutzt.
    Ergo: Kein Proteinpulver, sondern Protein, dass in seiner unverarbeiteten, natürlichen Form vorliegt.
    Auch das ist ein entscheidender Unterschied zu vielen bisherigen Studien, denn der Vergleich von isolierten Proteinen (z. B. Whey-Protein-Pulver mit Soja-Protein-Pulver) ist schlicht und ergreifend ein anderes Feld.

Wie waren die Mahlzeiten zusammengesetzt?

Die Proteinquelle der omnivoren Mahlzeiten war größtenteils Fleisch.
Das konnte zum Beispiel so aussehen: 100 g mageres Rindfleisch, 200 g Kartoffeln, 150 g Bohnen, 200 g Apfelsauce, 24 g Kräuterbutter.
700 g Essen mit durchschnittlich 37 g Protein, 61 g Kohlenhydraten, 19 g Fett und 18 g Ballaststoffen bei 600 kcal.

In der pflanzenbasierten Mahlzeit waren die Proteinquellen Sojabohnen, Kichererbsen und Saubohnen (jeweils 95 g), dazu 200 g Quinoa und 15 g Soja-Sauce. Hier wurden ebenfalls 37 g Protein erreicht, dazu 68 g Kohlenhydrate, 16 g Fett, 23 g Ballaststoffe  bei 600 kcal.

Also, nicht 100% identisch, jedoch sehr nah daran und vor allem beim Protein wurde auf ein gutes Match geachtet.

Die Proteinmenge wurde dabei an das Körpergewicht der Probanden angepasst: 0,45 g Protein pro kg Körpergewicht – zu allzu großen Unterschieden führte dies in der vorliegenden Studie jedoch nicht (meist 36-37 g).

Vergleichbarkeit und Qualität der Daten

Der Aufbau der Mahlzeiten für eine hohe Vergleichbarkeit ist meiner Meinung nach sehr gelungen.

Zudem wurde due Studie extrem gut kontrolliert.

Zwar hatte die Untersuchung nur 8 Teilnehmer pro Gruppe, da allerdings beide Gruppen in jeweils beiden Szenarien getestet wurden, sind die Ergebnisse repräsentativ wie für 16 Teilnehmer pro Gruppe mit insgesamt 32 Datensätzen.

Natürlich wäre ein noch größere Teilnehmerzahl wünschenswert gewesen. Hier haben wir praktische Limitationen – so mussten die Teilnehmer z. B. 11 Stunden im Labor verbringen. Dort bekamen sie isotopische Infusionen, die zur Messung der Proteinsynthese nötig sind – und das fast durchgehend in Rückenlage – ohne irgendetwas machen zu können. Sehr langweilig, sehr lang.

Zusätzlich wurden 4 Biopsien genommen (es werden mit einer Biopsie Nadel Fleischstücke aus dem Bein entnommen – 4 mal). Höchstwahrscheinlich wurden diese Probanden sehr gut bezahlt, um das zwei mal (!) über sich ergehen zu lassen.

Bei einer so stark kontrollierten Studie sind zudem gute Ergebnisse mit einer geringen Teilnehmerzahl möglich. Die Signifikanz der Ergebnisse bestätigt dies übrigens.

Pflanzenprotein vs tierisches Protein – die Ergebnisse

Bringen wir den Knaller schmerzlos und zügig auf den Punkt:

Die totale Proteinsynthese war in der omnivoren Gruppe um 47% höher als in der pflanzenbasierten.
Auch der Anstieg essenzieller Aminosäuren (EAAs) im Blut war dort deutlich höher. Bei der pflanzenbasierten Gruppe waren die Anstiege der EAAs sehr gering.

Pflanzenprotein Bioverfügbarkeit Proteinsynthese

Das ist ein großer Unterschied zu isolierten Proteinquellen

Bei isolierten Pflanzenproteinen (Sojaprotein-Isolat-Pulver etc.) lassen sich signifikante Anstiege der EAAs und Proteinsynthese deutlich messen.

Intakte Pflanzenproteine hingegen sind in die Matrix der Pflanze eingebunden. Ballaststoffe, sekundäre Pflanzenstoffe… die sicherlich ihre gesundheitlichen Vorteile haben, aber dafür die Bioverfügbarkeit des pflanzlichen Proteins reduzieren.

Natürlich hat Pflanzenprotein auch weniger essenzielle Aminosäuren.

Beides in Kombination erklärt, warum in der pflanzenbasierten Gruppe der EAA-Anstieg so gering ausfiel – auch der von Leucin, welches ja unter anderem die Proteinsynthese stimuliert.

Proteinsynthese durch pflanzliches Protein

In anderen Studien wurden bei vergleichbaren Proteinmengen (30-40 g) keine so großen Unterschiede gemessen, wenn pflanzliches und tierisches Protein verglichen wurden.

Wie kann das sein?
Ein paar mögliche Erklärungen sind, dass

  • hier intakte Pflanzenproteine genutzt wurden und keine Isolate – schlechtere Bioverfügbarkeit der Proteine.
  • die Aminosäuren-Reaktion sehr viel träger ausfällt, wenn die EAAs langsamer freigesetzt werden. Es kann also nicht zu einem so zügigen Anstieg von z. B. Leucin kommen, welches an der Initiierung der Proteinsynthese maßgeblich beteiligt ist.
    (Die Spitze der EAA-Reaktion war nach ca. 180 Minuten. Bei isolierten Proteinen hingegen findet sie nach 30-90 Minuten statt.)
  • die Teilnehmer etwas älter waren. Hier können Faktoren wie anabole Resistenz, die mit grundsätzlich geringerer Muskelproteinsynthese einhergehen, eine Rolle spielen. Mit einer höheren Proteingesamtmenge lässt sich dieser Effekt teilweise ausgleichen.

Es kann also sein, dass für diese, etwas älteren Leute, die Proteinmenge durch intakte Pflanzenproteine einfach nur zu gering war, um die Proteinsynthese entsprechend anzuregen. Dennoch ist es es bemerkenswert, wie gering der Anstieg war – immerhin sind 36-37 g Protein schon eine signifikante Menge, die in so ziemlich jeder anderen Studie verursachen solche Proteinmengen einen signifikanten Anstieg der Muskelproteinsynthese.

Allerdings wurde es eben auch noch nie auf diese Art und Weise getestet.

Wie lassen sich diese Ergebnisse interpretieren?

Immerhin gibt es ja genug Studien, die zeigen, dass auch mit pflanzlichem Protein vergleichbare Ergebnisse wie mit tierischem Protein in Sachen Proteinsynthese, Muskelaufbau etc. erzielt werden können?

  1. Das Alter der Probanden kann einer der entscheidenden Faktoren sein.
  2. Die Unterschiede (z. B. 47% bei der Muskelproteinsynthese) klingen riesig, sind aber in totalen Zahlen nur winzige Unterschiede zwischen winzigen Zahlen. Es ist einfach schwierig messbar.
    (Fun Fact: Es gibt sogar Studien, in denen nur die Kalorien angeglichen werden, während high Protein vs. low Protein getestet wird – ohne Unterschiede nach 12-16 Wochen…

Und nun? Sollten ältere Leute kein Pflanzenprotein essen, weil es ihnen nichts bringt?

Ich denke nicht, dass das die Message ist.
Zuerst einmal gelten – und ich weiß, ich wiederhole mich – die Ergebnisse nur für intakte und nicht für isolierte pflanzliche Proteinquellen. Eine Ergänzung mit entsprechenden Isolaten wäre also, sofern eine pflanzenbasierte Ernährung das Ziel ist, sinnvoll.

Außerdem macht in diesem Szenario wahrscheinlich der Einsatz eines EAA Supplements (essenzielle Aminosäuren, ergänzend z. B. zu einer Mahlzeit), Sinn.

Diese Schlussfolgerungen zu integrieren wird übrigens keinem pflanzenbasierten und gesundheitsbewussten Menschen schaden. Auch Muskelaufbau ist so sicherlich ebenfalls gut möglich.

Offene Fragen dazu? Schreib sie gern in die Kommentare.

Herzliche Grüße
Vincent Braukämper

Strength und Performance Coach in Bochum

 

PS: Credits gehen raus an Layne Norton, der diese Studie hervorragend aufgearbeitet und mir dadurch einige Arbeit abgenommen hat.

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