Fast kein Mythos hält sich so hartnäckig, wie der, dass Kohlenhydrate am Abend ansetzen würden.
Und die Argumentationen dafür sind auch sehr schlüssig:
- Ab 19 Uhr schläft der Darm!
Der schaut auf die Uhr und weiß sofort bescheid – jetzt verdaue ich Kohlenhydrate nicht mehr, sondern mache sie zu Fett. Irgendwie. - Kohlenhydrate verhindern die Wachstumshormon Ausschüttung!
Fette, Proteine und sogar Krafttraining können das aber ebenfalls tun – also besser nur still sitzen und nichts essen?
Fakt ist: Es gibt viele, schlüssig klingende Konzepte – insbesondere die populäre Schlank im Schlaf Theorie von Dr. Detlef Pape – die vom abendlichen Kohlenhydrate-Verzehr abraten.
Und sogar erfolgreich sind!
Die spannende Frage ist nun:
Was ist wirklich dran?
Liegt es wirklich an der Uhrzeit der Kohlenhydrate?
Oder sind es andere Mechanismen, die wir viel effektiver nutzen können?
Die Wachstumshormon (HGH) Ausschüttung über Nacht
HGH – das menschliche Wachstumshormon – spielt eine wichtige Rolle beim Fettstoffwechsel und der gesamten Körperkomposition. Es ist ein Peptidhormon und sorgt innerhalb der Muskulatur für eine gesteigerte Aufnahme von Protein. Gleichzeitig verhindert es denn Abbau von Körpersubstanz – ist also grundsätzlich antikatabol.
Gleichzeitig bindet es spezielle Rezeptoren in Fettzellen und aktiviert bestimmte Enzyme. Diese wiederum führen zum vermehrten Abbau gespeicherter Fettsäuren – Körperfett. Möglicherweise ist diese Wirkung beim (besonders insulinsensitiven) Bauchfett sogar besonders stark. Zudem fördert es die Fettsäurenoxidation in den Mitochondrien.
Also? Ein Hormon, das wir gern sehen. Allerdings haben wir immer weniger davon, je älter wir werden. Zumindest, wenn wir ein paar Dinge falsch machen.
Zum Beispiel abends Kohlenhydrate essen?
Insulin verhindert die HGH Ausschüttung
Immer noch ein Totschlag Argument: In den ersten beiden Schlafstunden erfolgt eine großer HGH-Schub, wenn kein Insulin vorhanden ist – ergo: Keine Kohlenhydrate gegessen wurden:
Die voreilige Schlussfolgerung: „Wenn das Wachstumshormon nicht in den ersten beiden Stunden ausgeschüttet wird, wird es nie ausgeschüttet! Also darf Abends kein Insulin ausgeschüttet werden – deswegen keine Kohlenhydrate ab Abend.“
Ergänzung für meine Nerds: Ja, Protein löst auch eine Insulin Ausschüttung aus – allerdings nicht ansatzweise so hoch und relevant wie die durch Kohlenhydrate.
Also Abends besser Fett essen?
Könnte man meinen – doch – welch Überraschung – auch der Konsum von Fett verhindert die HGH-Ausschüttung – bzw. senkt sie um 54% – durch die Verbindung von Fett und Somatostatin (Ensinck et al. 1990).
Fett ist scheinbar auch nicht die Lösung.
Wie kommen wir nun an das geliebte HGH und seine legendäre Effekte auf den Fettstoffwechsel. Müssen wir es spritzen?
Nein, es gibt ja noch das Krafttraining. Krafttraining wird oft nachgesagt, dass es die Wachstumshormonspiegel steigern würde. Doch was müssen wir sehen?
Richtig – Krafttraining senkt ebenfalls die Wachstumshormon Ausschüttung – der Peak ist deutlich kleiner!
Plot Twist – Insulin oder Krafttraining scheinen die Ausschüttung von HGH in den ersten Stunden des Schlafes zu verhindern.
Aber. Sie verhindern nicht seine Synthese.
Der Körper stellt es trotzdem her.
Schaust Du Dir die letzte Grafik etwas genauer an, siehst Du: Die Krafttrainings-Gruppe hat zwar einen kleineren HGH-Peak, dieser hält dafür aber deutlich länger an. Die totale Ausschüttung ist identisch.
Ok, Fazit?
Fakt ist: Wir kennen noch lange nicht alle Mechanismen der Wachstumshormon Ausschüttung.
Alter, Stress, Nährstoffverteilung und Lebensstil haben enormen Einfluss auf die HGH Ausschüttungen.
Momentan sieht es ganz danach aus als würde es, solange wir gut schlafen, grundsätzlich irgendwann im Laufe des Tages oder der Nacht ausgeschüttet werden – insbesondere in den Tiefschlafphasen.
Was sagt uns das jetzt aber über Kohlenhydrate am Abend?
Du wurdest auf die falsche Fährte gelockt!
Wachstumshormone sind toll und wichtig, aber
a) wissen wir zu wenig über sie, um zuverlässig mit ihnen arbeiten zu können und
b) sind sie nicht die eine zentrale Stellschraube im Muskelaufbau oder Fettstoffwechsel!
Insulin wirkt z. B. deutlich anaboler auf die Muskulatur, sofern diese insulinsensitiv ist. Cortisol mobilisiert ebenfalls freie Fettsäuren. Ketone erhöhen die Mitochondrienbiogenese und Fettsäurenoxidation.
Fakt ist:
Kohlenhydrate setzen an, wenn Du zu viele davon isst.
Der Fettstoffwechsel läuft bei einem gesunden Menschen immer.
Er wird verstärkt, wenn Du mal eine Weile auf Kohlenhydrate verzichtest.
Egal ob morgens oder abends.
Und der gesamte Rest regelt sich – beim stoffwechselgesunden Menschen – durch die Basics: Krafttraining (und wenn es nur ein Minimum zu Hause ist!), genug Protein und Ballaststoffe und gute Stressregulation und Schlaf.
Und was, wenn Du nicht stoffwechselgesund bist? Ein Kaloriendefizit nicht hilft, ständig die Energie fehlt oder einfach nichts klappen will?
Dann braucht es einen Stoffwechsel Reset.
Finales Fazit
Solange Platz in Deinen Glykogenspeichern ist, ist es völlig egal, wann Du Kohlenhydrate isst – sie werden nicht ansetzen. Ihre Wirkung auf die Wachstumshormon Ausschüttung über Nacht ist höchstwahrscheinlich nicht inhibierend, sondern lediglich verzögernd.
Wer kein Leistungssportler ist, tut häufig gut daran, morgens oder abends keine Kohlenhydrate zu essen, um den Fettstoffwechsel zu trainieren – mehr zur Optimierung des Fettstoffwechsels findest Du im Blog.
Stell mir gern Deine offenen Fragen in den Kommentaren!
Herzliche Grüße
Dein Vincent